„Tu deinen Mund auf für die Stummen“ (Buch der Sprüche 31.8)
Wir sind das D-B-G, das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium. Die Entscheidung für diese Namengebung fiel den Verantwortlichen im Jahre unserer Schulgründung 1978/79 nicht leicht. Respektable Alternativen standen zur Auswahl: Brecht, Heine, Wernher-von-Braun und andere. In der Schulkonferenz vom 31.01.1979 wurde als ein Auswahlkriterium formuliert, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Denken und Handeln des zukünftigen Namenspatrons den Schülern und Schülerinnen Anstoß für eigenes Urteilen und Tun bieten sollte. Die Beschäftigung mit dieser Person sollte ein fruchtbares Element in der Erziehung der jungen Menschen zu mündigen Staatsbürgern werden. Die Wahl fiel letztlich auf den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der zur Zeit des Dritten Reiches das Unrecht erkannte, über das andere hinwegsahen, und der sich nicht scheute, dagegen öffentlich zu protestieren. In der Begründung der damaligen Schulkonferenz heißt es: „Dietrich Bonhoeffer trat mit seinem Denken und Handeln für Interessen ein, die uns allen gemein sein sollten: Recht zu tun und Unrecht nicht zu dulden und damit Verant-wortung zu tragen für unseren Staat“.
Dieser Name soll für unser Gymnasium also Programm und Verpflichtung zugleich sein. Welche Erziehungs- und Bildungsziele sich für uns aus diesem Namen herleiten, wird im Folgenden deshalb dargestellt.
Die Eltern von Dietrich Bonhoeffer, Karl und Paula Bonhoeffer, sind von Anfang an bestrebt ihre Kinder zu verantwortlichen Menschen heranzubilden. Verantwortung bedeutet im Hause Bonhoeffer sowohl Verantwortung für sich selbst als auch Verantwortung für andere. Früh lernt Dietrich im Kreis der Geschwister die Gefühle und Bedürfnisse der anderen mit zu bedenken. Toleranz, Respekt, gegenseitige Rücksicht-nahme und wechselseitige Unterstützung sind so Voraussetzung dafür, dass sich jedes der Bonhoeffer-Kinder nach seinen eigenen Anlagen entfalten kann. Das für vielfältige Begegnungen und Einflüsse offene Elternhaus, in dem auch unterschiedliche Ansichten zu zentralen Fragen der damaligen Zeit kontrovers diskutiert werden, bietet Dietrich Anregungen und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des eigenen Denkens. Hier erwirbt er auch das nötige Selbstbewusstsein zur Konstruktion seines eigenen Lebensentwurfes. Dietrich weiß, woher er kommt und wer er ist. Sein Selbstbewusstsein und der Wille, den Dingen auf den Grund zu gehen um sein Handeln an den so gewonnen Erkenntnissen auszurichten, helfen ihm später, sich selbst in schwierigsten Zeiten treu zu bleiben.
Seine vielen Auslandsreisen bringen ihn, den evangelischen Theologen, dazu, die traditionellen Werte seiner Zeit und seiner Kirche in Frage zu stellen. Seine Fähigkeit, aus der Perspektive der anderen zu sehen und zu denken, ermöglicht es ihm seine eigenen Werte zu finden und zu leben. Vor allem sein Aufenthalt in New York 1930 – hier wird er konfrontiert mit der strikten Rassentrennung in den USA und dem sozialen Elend in Harlem und der South Bronx – führt ihn dazu zunehmend Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für andere zu übernehmen. Dieses Verständnis von Verantwortung wird zum Leitmotiv seines Lebens. Praktisches, soziales und politisches Engagement bestimmen seinen weiteren Lebensweg.
Die Werte, an denen er sich dabei ausrichtet, sind: Solidarität, Gerechtigkeit und Gewalt-freiheit. Aufgrund der reflektierten Selbstbindung Bonhoeffers an diese Werte, die er nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit der Bergpredigt gewinnt, wird er nach 1933 im nun nationalsozialistisch gewordenen Deutschland zum Widerstandskämpfer. Deutschland soll nicht den antidemokratischen und menschenverachtenden Kräften überlassen werden. Er will und kann sich nicht heraushalten, wenn der Staat grundlegende Menschenrechte außer Kraft setzt. Seine Ethik gebietet es ihm in dieser Situation nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern, wie er es selbst formuliert, dem Rad in die Speichen zu fallen. Diesen Versuch, der weit mehr verlangt als Zivilcourage im alltäglichen Sinne, bezahlt er mit seinem Leben.
Viele sich aus dieser Biographie ergebende Bildungs- und Erziehungsziele sind offen-sichtlich. Auf einige soll im Folgenden dennoch kurz eingegangen werden.
Unsere Schule, das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium, soll als Haus des Lernens den Schülern und Schülerinnen die Selbst- und Fachkompetenz mitgeben, die heute notwen-dig ist, damit sie in einer Zeit fortschreitender Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen (Individualisierung und Globalisierung) ihre eigenen Lebensentwürfe erfolgreich entwickeln können. Die fachliche Qualifikation, ohne die diskursives und multiperspektivisches Denken und eine fundierte Auseinandersetzung mit den grundlegenden Werten unserer Kultur nicht gelingen kann, ist hierfür eine fundamentale Voraussetzung. Dabei sollen die Schüler und Schülerinnen an unserer Schule in zunehmendem Maße Sebstverantwortung für sich und ihre weitere Qualifikation übernehmen. Wir wollen sie davon überzeugen, dass sie mit Fleiß, Sorgfalt, Konzentration und Ausdauer ihre eigenen Fähigkeiten erkennen und eigenständig weiter entwickeln können. Nur so bereiten wir die jungen Menschen auf die heute unabdingbare Notwendigkeit des lebenslangen Lernens erfolgreich vor. Auf der Ebene der Unterrichts-gestaltung bemühen wir uns deshalb um Unterrichtsformen, die Freiräume eröffnen, so dass Lernfreude und Bereitschaft zur Eigeninitiative gefördert werden.
Da die Freiheit jedes Einzelnen zur Selbstverwirklichung voraussetzt, dass auch jeder die Freiheit des Anderen respektiert, sollen unsere Schüler und Schülerinnen lernen rück-sichtsvoll, einfühlsam und fair miteinander umzugehen. Unter Erziehung verstehen auch wir die Hilfe zur reflektierten Selbstbindung junger Menschen an Normen und Werte. Hierin ist uns Dietrich Bonhoeffer ein bleibendes Vorbild. Die Werte, denen wir uns demgemäß besonders verpflichtet fühlen, sind:
- die Achtung vor der Würde des Anderen,
- Toleranz,
- Gerechtigkeit und Solidarität,
- Mut zur Zivilcourage,
- Verantwortung als Selbst- und Mitverantwortung (gegenüber Mensch und Natur),
- praktisches soziales Engagement.
Wenn diese Werte in Elternhaus und Schule gelebt werden, können von dort aus auch demokratische und verantwortungsbewusste Verhaltensweisen auf andere Felder des gesellschaftlichen Lebens übertragen werden. Durch eine vertrauensvolle Zusammen-arbeit zwischen Elternhaus und Schule hoffen wir diesen hier skizzierten Grundkonsens in Erziehungs- und Bildungsfragen verwirklichen zu können.