Ratingen · Eine Welle der Hilfsbereitschaft: Der Zwölfjährige aus Syrien hatte sich nichts sehnlicher gewünscht als ein Fahrrad.
RP 08.04.2015, 00:00 Uhr 4 Minuten Lesezeit
West/ Wer genau hinsah, konnte ein leichtes Glitzern in Arams dunklen Augen sehen. „Das ist toll“, staunte der Zwölfjährige beim Anblick des BMX-Rades, das dem Jungen, der mit seiner Familie unter dramatischen Umständen aus Syrien geflüchtet war, mit Hilfe unserer Leser als verspätetes Geburtstagsgeschenk überreicht wurde. Und noch bevor er die erste Runde drehte, bedankte er sich erst einmal sichtlich gerührt: „Ich freue mich sehr. Vielen Dank an alle, die das möglich gemacht haben.“
Der Bericht über Aram und seine Familie in unserer Zeitung vor einigen Wochen hatte dafür gesorgt, dass in der Redaktion die Telefonleitungen nicht mehr stillstanden. Viele Leser wollten helfen, boten Kinderfahrräder an oder wollten mit der Familie zur Radstation am Ostbahnhof fahren. Heiner van Schwamen, Lehrer am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium (DBG) , an dem Aram die Klasse für Flüchtlingskinder besucht, hatte die Koordination übernommen. Er war begeistert von der Welle der Hilfsbereitschaft: „Es waren so viele Angebote, dass wir letztlich die ganze Familie mit Fahrrädern versorgen konnten“, freute er sich. Nur Aram musste etwas warten, denn sein Geschenk wurde extra geliefert und musste noch zusammen gebaut werden. Eine Aufgabe, die Peter Emonds, Nachbar von Lehrer van Schwamen, übernommen hatte: „Als Heiner van Schwamen mich gefragt habe, habe ich keinen Moment gezögert und gesagt, ich helfe“, so Emonds, der bei der Geschenkübergabe noch eine Überraschung dabei hatte: ein Dreirad für das Nesthäkchen der Familie, die kleine Lorena.
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Dramatische Flucht aus der Heimatstadt Aleppo
Die Flucht der Mustafas war dramatisch. Als es in Aleppo im schlimmer wurde, mussten sie an einem frühen Morgen innerhalb einer Stunde einige Habseligkeiten zusammenpacken. Es folgte eine Fahrt in ein Dorf in der Nähe der türkischen Grenze, dann weiter nach Norden. Die bulgarisch-türkische Grenze überquerte die Familie in einem siebenstündigen nächtlichen Marsch. Anschließend ging es im Unterboden eines Autos versteckt nahezu bewegungsunfähig und mit kaum Luft zum Atmen mit dem Wagen weiter. 23 Stunden dauert die Fahrt bis nach Österreich – endlich in Freiheit.
Eine der Spenderinnen, die für glückliche Kinderaugen bei Aram sorgte, war Margit Mocka: „Die Geschichte des Jungen und seiner Familie hat mich sehr berührt. Es ist schön zu sehen, wie einfach man doch einem Kind eine Freude machen kann.“ Sie hatte gemeinsam mit van Schwamen und dessen Westhäkchen, der Kabarettgruppe des Bonhoeffer-Gymnasiums, das Geld für das BMX-Rad gespendet. Die jungen Künstler der Westhäkchen waren es, die in ihrem aktuellen Programm in einem bewegenden Kurzfilm das Schicksal von Aram und seiner Familie an die Öffentlichkeit gebracht hatten. „Als wir im Winter gefragt hatten, ob wir ihre Geschichte verfilmen dürfen, haben sie spontan zugesagt. Deshalb ist es für uns logisch gewesen, dass wir uns an dem neuen Rad für Aram beteiligen“, erzählte Anton Lenger von den Westhäkchen.
Kurt Dirkes und Birgit Krischer versorgten Arams Eltern mit zwei Alurädern: „Bei uns hätten sie eh nur noch herum gestanden. Und so hatten wir die Möglichkeit, etwas Gutes zu tun“, so Dirkes. Das nutzt Mutter Sherin Mustafa regelmäßig: „Ich fahre damit immer einkaufen und muss jetzt nicht mehr immer zu Fuß gehen.“ Eine weitere Leserin, die anonym bleiben möchte, spendete ein Kinderrad von der Radstation in Ost für Nihat, den achtjährigen Bruder von Aram. Der geht auf der Karl-Arnold-Schule übrigens in eine Regelklasse, hat keine Probleme, sich zu integrieren: „Ich gehe gerne zu Schule.“ Auch Aram mag das Lernen, hat aber so etwas wie ein Luxusproblem: In seiner Klasse ist er mit Abstand der Beste. Er möchte gerne so schnell wie möglich am normalen Unterricht teilnehmen. Einen ersten Schritt dazu hat er bereits getan. Er engagiert sich in der Schülervertretung des DBG. Heiner van Schwamen ist begeistert: „Dieser Junge zeigt so viel Interesse am Lernen, das finde ich unglaublich.“ Und auch wenn er jetzt schon fleißig mit dem BMX-Rad den einen oder anderen Trick übt, Schule steht für Aram ganz oben: „Es ist wichtig, einen guten Abschluss zu machen. Ich möchte einen tollen Beruf haben.“